Ein fehlerfreies Korrektorat gibt es nicht

Steile These, oder? Zumal ein fehlerfreies Korrektorat oft von unterschiedlichen Anbietern umworben wird. Ich erkläre gerne, weshalb das mindestens problematisch, aber meist nicht machbar sein wird – außer für gut geschriebene kurze Texte.

Menschen machen Fehler

Und Korrektoren sind halt Menschen. Daraus folgt der Schluss, dass auch Korrektoren Fehler machen. Aber nicht nur das. Sie können sie auch überlesen. Zwar sind Korrektoren darin geschult, Fehler zu finden, doch sie sind nicht perfekt. Hinzu kommt: Jeder einzelne Korrektor hat seine eigenen Stärken und Schwächen – der Mensch ist leider ein individuelles Wesen – und ab einem gewissen Zeitpunkt setzt bei jedem die sog. Betriebsblindheit ein. Autoren sollten davon ein Lied singen können.

Man sagt, sobald ein Text einmal gelesen wurde, setzt langsam die Betriebsblindheit ein. Spätestens aber nach dem zweiten oder dritten Lesedurchgang.

Anbieter, die ein fehlerfreies Lektorat anbieten oder sogar garantieren, handeln demnach höchst unseriös.

Fehler ist nicht gleich Fehler

Inzwischen gibt es laut Duden so viele Schreibvarianten, dass nicht immer von einem Fehler gesprochen werden kann, außer es liegt definitiv nur eine korrekte Schreibweise vor. Das wird auch gerne übersehen. Ein schönes Beispiel für eine Schreibvariante ist vor kurzem/vor Kurzem. Beides ist richtig. Allerdings sollte man in einem Text auf die einheitliche Schreibweise achten. Denn eine uneinheitliche Verwendung kann einen Fehler darstellen, obwohl beide Schreibweisen richtig sind.

Ein weiteres Beispiel sind getrennt- und auseinandergeschriebene Wörter, z. B. weitergehen oder weiter gehen. Auch hier sind beide Schreibweisen richtig, aber der Kontext entscheidet, wann welche falsch angewendet ist. So schreib man weitergehen, wenn eine Person sich weiterhin fortbewegt, aber weiter gehen, wenn es eine Distanzfrage beinhaltet.

Manchmal werden auch Begriffe, die einem unbekannt sind, als Fehler behandelt, weil deren Verbreitung gering ist oder die Verwendung im Kontext unbekannt. Dabei könnte z. B. eine kurze Google-Suche sofort Abhilfe schaffen. Bei manchen Worten denkt man aber nicht daran, weil sie einem irgendwie falsch vorkommen. Hier hilft wirklich nur nachschlagen.

Fehlerquote

Qualitativ hochwertige Texte haben eine möglichst geringe Fehlerquote. Verschiedene Quellen im Internet geben an, sie läge irgendwo bei unter 1%. Andere Aussagen sind: Ein Korrektor findet zwischen 90-98% der Fehler oder ein Text, der von 85-98% fehlerfrei ist, sei ein guter Text. Das sind vage und vor allem sehr weit gefasste Angaben. Selbst der Verband freier Lektoren (VFLL) hält sich mit expliziten Aussagen zurück. Kurz gesagt, es gibt keine einheitliche Festlegung, wie hoch eine Fehlerquote nach der Bearbeitung durch den Korrektor zu sein hat. Hier entscheidet das Fehlerempfinden des Auftraggebers, weshalb dieser Punkt im Vorfeld so genau wie möglich besprochen werden sollte, um keine Missverständnisse zu erzeugen.

Es gibt also eine vom Auftraggeber abhängige und vom Korrektor festgelegte Fehlerquote. Beides kann gut übereinstimmen, aber auch Welten voneinander entfernt liegen. Letzteres ist allerdings viel wahrscheinlicher. Denn neben echten Fehlern, die nicht diskutabel sind, kommt es auch auf die Art der Berechnung an und hierfür muss man die Parameter kennen.

Die einfachste Berechnung – die ich auch gerne benutze – ist die Anzahl der gefundenen Fehler in einem Text bezogen auf die Gesamtzahl an Wörtern. Man kann aber statt der Gesamtzahl an Wörtern auch die Zeichenlänge oder die Seitenzahl des Textes als Bezugsgröße nehmen. Nimmt man an, dass ein Text nach der Korrektur durch einen Profi nur noch 1% fehlerhaft sein darf, erhalten wir folgende Ergebnisse:

  • Von den 100 Seiten ist nur 1 Seite falsch. (Obacht! Hier ist nicht geklärt, ob es die ganze Seite oder nur ein Teil sein soll.)
  • Von den 30 000 Wörtern sind ganze 300 Wörter fehlerhaft.
  • Von den 200 000 Zeichen sind ganze 2000 Zeichen verkehrt.

Eine gute, informative Übersicht zum Thema Berechnung der Fehlerquote, aus der auch das oben genannte Beispiel stammt, wurde von Hansl Rothbauer veröffentlicht. Das PDF ist frei erhältlich/einsehbar.

Es spielt aber auch eine Rolle, ob jeder einzelne Fehler separat gezählt wird oder ein wiederkehrender Fehler aufgrund dieses Auftretens nur einmalig. Die einmalige Zählung würde die Fehlerquote künstlich herunterdrücken, während der Fehler für den Leser halt entsprechend häufiger vorkommt und so den Eindruck vermittelt, der Fehler ist aber z. B. 5x vorhanden, was ja auch Tatsache ist, und nicht bloß 1x.

Wie erhalte ich also ein möglichst fehlerfreies Korrektorat?

Die Betonung liegt hier auf möglichst fehlerfrei. Denn wie inzwischen bekannt sein dürfte, gibt es kein fehlerfreies Korrektorat. Helfen können hierbei zwei kombinierte Vorgehensweisen. Zum einen sollte darauf geachtet werden, einen Text mehrmals zu korrigieren. In der Fachsprache wird auch von mehrstufiger Sichtung/Prüfung gesprochen. Verantwortungsvolle Korrektoren bieten ein zweistufiges Korrektorat an, aber das einstufige kommt auch häufig vor, entweder weil es zum regulären Angebot des Korrektors gehört (z. B. bei Texten mit wenig Umfang) oder der Kunde explizit danach gefragt hat. Der Grund: weil es schneller geht und günstiger zu haben ist. Neben den eingesparten Kosten – immerhin dauert so eine Korrektur und Zeit ist bekanntlich Geld – erhält der Autor aber auch eine deutlich höhere Fehlerquote, denn: Jeder Korrekturdurchlauf verringert die Anzahl enthaltener Fehler, jeder übersprungene Korrekturdurchlauf erhöht sie. Das wird gerne vergessen.

Berücksichtigt man nun noch die einsetzende Betriebsblindheit bei einem mehrstufigen Korrektorat, wäre das Vier-Augen-Prinzip optimal. Gemeint ist hier aber nicht die Kombination Korrektor-Autor, sondern Korrektor-Korrektor, denn der Autor leidet sowieso schon an akuter Betriebsblindheit.

Bei Verlagen ist es gang und gäbe, nach dem Korrektorat und der Gestaltung des Buchinnenteils noch eine Schlussredaktion vorzunehmen, bevor es in den Druck bzw. die Veröffentlichung geht. Hierbei werden dann die noch enthaltenen Fehler reduziert. Ich spreche absichtlich nicht davon „alle“ Fehler zu eliminieren, weil man dazu im Vorfeld genau wissen müsste, wie viele Fehler im gesamten Text überhaupt vorhanden sind. Das weiß vorher wirklich niemand. Im Selfpublishing ist die Abschlussredaktion eigentlich auch angeraten, wird aber oftmals von Seiten des Autors aus Kostengründen vernachlässigt.

Abschlussworte

Bei meinen Arbeiten achte ich darauf, die Fehlerquote möglichst unter 1% zu drücken, möglichst in den Promillebereich. Inwieweit das glückt, hängt stark von der Fehlerdichte des Ausgangstextes ab. Arbeite ich an einem Text mit Unmengen an Fehlern, werden nach Abschluss meiner Arbeiten deutlich mehr noch verblieben sein, als wenn ich einen bereits fehlerarmen Text zur Sichtung vorliegen habe. Eine Fehlerfreiheit garantiere ich daher nicht, stehe aber für Nachbesserungen bereit, wenn es zu einer Beanstandung kommt.

Wann ein Text übrigens für die Arbeit im Lektorat oder Korrektorat geeignet ist, lest ihr am besten hier nach.

Eure Rike.

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